Blick durchs Schlüsselloch der Chirurgie
Minimalinvasive endoskopische Wirbelsäulenoperationen kommen mit kleinsten Hautschnitten aus und sind zunehmend gefragt. Neurochirurg Benedikt Burkhardt sagt, wann sie die richtige Methode darstellen.
Fragt man junge Männer nach ihren Berufswünschen, bekommt man oft Antworten wie «Fussballprofi», «E-Sportler» (also Videogame Spieler) oder vielleicht «Chef einer InternetFirma». Fragte man Benedikt Burkhardt, erwiderte dieser: «Neurochirurg» – was der heute 42jährige Deutsche dann auch wurde. 2012 begann er an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums des Saarlandes zu arbeiten, es folgte ein Forschungsaufenthalt in Amerika, 2021 wechselte er an die Klinik Hirslanden in Zürich. Mittlerweile hat er also bereits mehr als zehn Jahre Erfahrung auf seinem Spezialgebiet.
MIT OFFENEM VISIER
«Die menschliche Wirbelsäule ist das zentrale tragende Element des Körpers. Zwischen den 24 freien Wirbeln liegen insgesamt 23 Bandscheiben, die zur Beweglichkeit beitragen», erklärt er auf seiner Website. Und weiter: «Eine Bandscheibe liegt zwischen zwei Wirbelkörpern und besteht aus einem gallertartigen Kern, der von mehreren Schichten eines elastischen Faserknorpels umgeben ist.» So weit, so gut. Doch ab dem 20.Lebensjahr kommt es zur Abnutzung der Bandscheiben. Der Kern verliert Flüssig keit, der Faserknorpel bekommt Risse. Das kann zu Symptomen führen. Symptomen? Tönt angenehmer als «Schmerzen», ist aber im Grunde das selbe. Was wiederum zu einem Besuch in der Sprechstunde von Burkhardt führen kann, der seit seiner Habilitation vor fünf Jahren (an der Universität des Saarlandes) den Titel PD, Privatdozent, trägt.
Als Erstes nimmt Burkhardt an der Patientin oder dem Patienten mit Symptomen eine umfassende Abklärung vor. Dazu gehören die Anamnese, die gesamte Krankengeschichte, die klinische Untersuchung der Beschwerden, persönliche Gespräche natürlich und allenfalls eine Computertomografie. Mit anderen Worten: Er begegnet Patienten mit offenem Visier, ohne eine bestimmte Methode zu bevorzugen bei einer allfälligen Operation. Sondern um das beste Vorgehen im jeweiligen Fall herauszufinden und zu vereinbaren. Standard ist eine klassische mikrochirurgische Operationsmethode. «Eine besondere Erweiterung meiner Spezialisierung liegt in der minimalinvasiven endoskopischen Wirbelsäulenchirurgie», sagt Burkhardt. Diese OP wird in der Regel in Vollnarkose durchgeführt und dauert je Wirbelsegment bis zu sechzig Minuten. Was ist dabei zu beachten? «Dass die Stabilität der Wirbelsäule nicht beeinträchtigt wird, also knöcherne Strukturen und stabilisierende Bänder erhalten bleiben.» Auch sollte die Rückenmuskulatur bestmöglich geschont werden. Denn nur so werde das Trauma auf ein Minimum reduziert und bleibe die Funktio nalität der Wirbelsäule bestmöglich erhalten, sagt er.
Wenn auf einer Geraden die Zunahme des Gewebetraumas, also die Heftigkeit der Behandlung, dargestellt würde, wäre ganz links diesogenannte konservative Behandlung, gefolgt von der Endoskopie, der Mikroskopie – und schliesslich ganz rechts die offene grosse OP. Unter konservativer Behandlung versteht man Vorgehen, die ohne eigentliche Operation, ohne chirurgischen Eingriff also, auskommen. Stattdessen unterziehen sich Patienten einer Physiotherapie, betreiben Krafttraining et cetera. Wohingegen minimalinvasive endoskopische Eingriffe die Eigenschaft haben, trotz eines kleinen Hautschnitts Muskeln und Weichteile weitestgehend unbeschädigt zu halten.
SCHMERZFREI OHNE OPERATION
Minimalinvasive endoskopische Eingriffe gibt es seit über dreissig Jahren; zunehmend gefragt seien sie aber erst in den vergangenen zirka zehn Jahren geworden, sagt Burkhardt. Er hat sich seit dem Beginn seiner Lauf bahn auf diese Operationstechnik spezialisiert und darf als einer der in der Schweiz arbeitenden Chirurgen beschrieben werden, der minimal invasive endoskopische Rückenoperationen regelmässig erfolgreich durch führt. So ist er etwa der Vertreter der Schweiz in der International Society of Minimal Intervention in Spine Surgery (ISMISS), der Gesellschaft von Ärzten, die diese Operationstechnik anwenden, und hat die 38. Jahrestagung im Februar dieses Jahres ausgerichtet.
Was aber nicht heisst, dass er jede Patientin und jeden Patienten minimalinvasiv endoskopisch behandelt. Obwohl er zahlreiche Vorteile damit verbindet, legt er Wert darauf, «keine bestimmte Technik zu forcieren», sondern, wie erwähnt, die Methode zu wählen, die im besten Patienten interesse liegt. Die grosse Mehrheit der Männer und Frauen mit Rückenschmerzen, die der Hirslanden-Belegarzt – dabei handelt es sich um einen von rund 3000 selbständigen Medizinern, der nicht von der grössten Schweizer Klinikgruppe angestellt ist, sondern die Räume und Einrichtungen des Privatspitals nutzt und dafür bezahlt – in seiner Sprechstunde empfängt, kann ohne Operation wieder schmerzfrei werden. «Von den chirurgischen Eingriffen, die wir vornehmen, sind ungefähr fünf bis zehn Prozent minimalinvasiv endoskopisch», sagt er.
HOHE ANFORDERUNGEN, GERINGES RISIKO
Der Anteil solcher Operationen, die im Wirbelsäulenzentrum Zürich durch geführt werden, steigt. Dafür gibt es Gründe: Die Schlüssellochchirurgie erlaube es etwa, die Muskulatur beim Zugang zur Wirbelsäule zu schonen, und benötige in der Folge für die Heilung weniger Zeit. «Dank des geringeren Muskeltraumas sind die Patienten im Vergleich zu den offenen Techniken schneller mobil und haben weniger Schmerzen im Operations bereich», sagt Burkhardt (siehe Fallbeispiel am Fuss des Texts).
Wie verhält es sich mit Risiken und Nebenwirkungen? Solche gibt es, klar. Eine hundertprozentige Erfolgsgarantie kann nicht abgegeben werden. Ursachen dafür können eine präoperative Nervenschädigung sein oder eine postoperativ aufgetretene Veränderung mit Vernarbung beziehungsweise eine beginnende Instabilität der Wirbelsäule. «Doch über 85Prozent der Patienten spüren bereits unmittelbar nach der Operation eine Verbesserung ihrer Beschwerden», sagt Burkhardt. Patienten mit Bein- und Rückenschmerzen profitierten besonders von der OP. Wichtig zudem: Die Rate relevanter Komplikationen wie etwa Nervenverletzungen liegt im tiefen einstelligen Prozentbereich. «Dieses Risiko darf also als sehr gering bezeichnet werden.»
Gibt es weitere Haftungsausschlüsse? Die Kosten minimalinvasiver endoskopischer Operationen sind höher als bei der klassischen mikrochirurgischen Methode. Was auch damit zu tun hat, dass dabei mehr teure Einweginstrumente verbraucht werden – und dazu führen kann, dass Fallpauschalen der Krankenversicherung nicht ausreichen. Ausserdem stellen minimalinvasive endoskopische Eingriffe grosse Ansprüche an die Ausführenden. Benedikt Burkhardt spricht von einer «Lernkurve», die durchlaufen werden müsse. Salopper ausgedrückt könnte man sagen, minimalinvasive endoskopische Operationen seien nur etwas für Könner. Für Ärztinnen und Ärzte beispielsweise, deren Berufswunsch schon im jugendlichen Alter Neurochirurg war.
Patientenerfahrung
AUSTRITT AM ZWEITEN TAG NACH DER OPERATION
«Ein 69-jähriger Patient sucht mich auf Empfehlung eines Freundes ausserplanmässig in der Sprechstunde auf. Er verspürt seit rund vier Wochen Schmerzen im Rücken, die in den rechten Oberschenkel ausstrahlen. Das Treppensteigen ist ihm nicht mehr möglich, gehen kann er fast nur noch in nach vorne gebeugter Haltung.
Nach einer Magnetresonanztomografie der Lendenwirbelsäule zeigt die Bildgebung einen Bandscheibenvorfall im Segment L4/5, der die L4-Nervenwurzel im Nervenkanal komprimiert. Aufgrund der Lähmung und Missempfindung im rechten Oberschenkel und der starken Schmerzen, die in den vergangenen Wochen trotz Medikamenten nicht besser wurden, besprechen wir die Therapieoptionen. Eine Infiltration hat der Patient bereits durchführen lassen, jedoch ohne eine Verbesserung verspürt zu haben.
Fussend auf Beratung und Erläuterung der Therapieoptionen, entscheidet er sich für einen Eingriff: eine endoskopische Bandscheibenoperation über einen seitlichen Zugang. Die einstündige OP kann nach entsprechender Vorbereitung und Planung bereits wenige Tage nach der ambulanten Vorstellung durchgeführt werden. Mittels eines zirka einen Zentimeter langen Hautschnitts über einen seitlichen Zugang ist es möglich, das auf den Nerv drückende Bandscheibengewebe zu entfernten.
Der Patient wird schon am Abend nach der Operation im Zimmer mobilisiert und ist ab dem ersten Tag bereits alleine im Zimmer und auf der Flurebene mobil. Die Beinschmerzen haben sich unmittelbar gebessert – die Kraft im Bein sowie das Gefühl kehren bereits zurück. Es zeigt sich noch eine leichte Empfindlichkeit in der Flanke sowie der Wunde. Der Austritt erfolgt am zweiten Tag nach der Operation. Vier Wochen nach der Operation ist der Patient beschwerdefrei, es bestehen keine motorischen Einschränkungen mehr.»
Aufzeichnung
von PD Dr. med. Benedikt Burkhardt, Neurochirurg und Partner am Wirbelsäulenzentrum / Spine Center – WSC der Klinik Hirslanden Zürich