Gueti Giele
Tom Weingart und Markus Arnold, Berns Pop-up-Lokal-Könige, bereichern die Bundesstadt. Was Gäste schätzen, doch einige Konkurrenten beklagen.
Der Fünfzehn-Minuten-Spaziergang vom Loebegge zum Historischen Museum führt unter den Lauben der oberen Berner Altstadt durch und über die Kirchenfeldbrücke, die die Aare quert. Man begibt sich zudem auf eine Tour durchs Reich der zurzeit vielleicht angesagtesten Restaurateure der Bundesstadt: Küchenchef Markus Arnold und Gastrounternehmer Tom Weingart.
Gegenüber dem Loebegge befindet sich das «Mama’s», wo es Momos gibt; die tibetischen Teigtaschen werden durch ein rosarotes Fenster gereicht. Achtzig oder so Meter weiter Spitalgasse- oder, wie man in Bern sagt(e), «Schluuch»-abwärts liegt die «Rooftop-Brasserie» im dritten Stock des Globus, mit einer der schönsten Terrassen der Stadt. Hat man die Marktgasse passiert und ist rechts abgebogen, fällt der Blick von der Brücke auf das Dalmazipärkli am Aareufer mit dem Pop-up «Park am Wasser», zwei Bars, einer mobilen Küche und vielen Sitzgelegenheiten. Und am Ende der Brücke beim Historischen Museum lässt man sich nieder auf Liege- oder Gartenstühlen der dort ebenfalls bloss vorübergehend betriebenen «Bar im Museumspark».
Filet des einen, Gift des anderen
Die erwähnten Betriebe tragen massgeblich dazu bei, dass Bern während der Sommermonate nicht bloss schön zum Ansehen ist. Sondern dass man an schönen Ecken beziehungsweise in gefälligen Lokalen auch fein konsumieren kann – das Bild vom Auge, das mitisst, bekommt eine weitere Bedeutung. Und ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von Sternekoch Arnold und «Szene-Gastronom» (20 Minuten) Weingart.
Partnerschaften funktionieren oder nicht. Die Gründe, die zu Erfolg oder Scheitern beitragen, sind manchmal dieselben, austauschbar. Yin und Yang, Öl und Wasser, Salz und Pfeffer et cetera – One man’s meat is another man’s poison, Fleisch, das einem Mann schmeckt, vergiftet einen anderen.
Weingart und Arnold sind nicht Gleich und Gleich, die sich redensartlich gern gesellen. Eher weisen sie Gegensätze auf, die sich anziehen. Tom Weingart, 198 cm lang oder gross, ist der Typ Dressman, wie man Männermodels früher nannte: Die dunklen Haare nach hinten gekämmt, das Hemd offen wie Udo Jürgens (aber mit mehr Tätowierungen, als dieser hatte), eine Rolex und verschiedene Manager-Bändeli an den Armen, sozialisiert in Kalifornien, wo er eine Laufbahn als professioneller Basketballer antrat – es klappte nicht, ein Sonnyboy ist er geblieben, auch nach der Rückkehr in die Schweiz, dem Abschluss der Hotelfachschule und Lehr- sowie Meisterjahren in Zürcher Restaurants von Rudi Bindella.
Sonnyboy und Schlafloser
Markus Arnold hat die Augen oder den Blick eines Schlaflosen, mit dem zahlreiche Spitzenküchenchefs auf ihre Mitarbeiterinnen, -arbeiter, -menschen und die Welt herabsehen. Äusserlich kommt er unauffällig daher, nicht die Sorte Mann, der einen Raum ausfüllt, wenn er ihn betritt. Was nicht heissen soll, er habe keine Chefpersönlichkeit, sei kein Alphamännchen. Er regiert bloss seinen Bereich, nicht die Stadt. Er beschreibt sich als «prozessorientiert und strukturiert», man könnte ihn auch als Perfektionisten beschreiben. Kein Zufall, dass er in seinem im Historischen Museum untergebrachten Restaurant «Steinhalle» (ein Michelin-Stern, 17 Punkte im «Gault Millau») derzeit abends vier, fünf oder sechs Gänge mit «japanischem Umami-Twist» (für 119 bis 159 Franken, plus Getränkebegleitung) anbietet – der Reduce to the max-Ansatz von Japans Küchenkultur passt, er möge es unkompliziert und weltoffen, doch bei der Zutatenwahl sei er kompromisslos, sagt er. Bevor er Berns höchstbewertetes Lokal aufbaute, kochte er in leitender Stellung an verschiedenen Orten in der Schweiz oder in Kanada.
Und bevor wir’s vergessen, die Partner haben doch Gemeinsamkeiten: Arnold und Weingart sind beide 41, beide verheiratet, und beide haben ein kleines Kind.
Unser Treffen fand auf der «Rooftop Brasserie»-Terrasse im Globus statt, auf neutralem Gebiet oder in einem gemeinsam geführten Lokal also: Weingart ist wie immer verantwortlich für den Betrieb, Arnold für das, was auf die Tische kommt (Tartar von geräucherten Seeländer Randen, anschliessend hausgemachte Gnocchi di patate mit Dörrtomaten und Doppelmozzarella; alles fein und empfehlenswert bis und inklusive des ebenfalls hausgemachten Eistees mit Gurke und Basilikum). Die Aufgabenteilung klappt reibungslos – Weingart ist der Gastgeber, der nie leerläuft, stattdessen am Nebentisch, wo vier junge Männer/Besucher des Gurtenfestivals, eines gerade stattfindenden Musikanlasses, sitzen, en passant geschmeidig Small Talk macht, verkauft plus abräumt («Na, Jungs» – früher waren das Giele, auch Berndeutsch wird upgedatet –, «wurde es spät gestern? Nehmt ihr noch was, falls es heute wieder spät wird?»). Arnold nimmt um 14.45 Uhr, out of the blue, Platz an unserem Tisch, gerade erst hat er den Mittagsservice in der «Steinhalle» beendet.
«Braucht man als Sterneküchenchef und Restaurantbetreiber mehrere Lokale, reicht eines nicht?», frage ich Markus Arnold, der zurzeit sechzehn Mitarbeiter beschäftigt. Doch, es würde schon reichen, antwortet er. «Aber ichwill keine Routine.» Bei Gastronom Weingart, der als Bar- und Klubbetreiber angefangen hat und gegenwärtig dreizehn bis fünfzehn Festangestellte beschäftigt, ist die Lage anders, «mir macht das Ausdenken von Konzepten Spass, vor allem das Umsetzen und Bauen», sagt er.
Hüttendorf in der Parkanlage
Das gegenwärtig grösste Weingart-Arnold- Unterfangen ist der «Sternenmarkt», ein Designartikel/-objekte-Weihnachtsmarkt, er soll im Dezember zum vierten Mal auf der Kleinen Schanze stattfinden; an den stärkstbesuchten Abenden werden im Hüttendorf in der Parkanlage neben dem Bundeshaus bis zu 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür sorgen, dass genug Fondue, Glühwein et cetera für die Gäste vorhanden ist. Rückmeldungen zum «neuen grossen Player auf dem Platz» (Berner Zeitung) fallen nicht nur wohlmeinend aus – die Mieten für Stände sind viel niedriger als auf dem Waisenhausplatz-Markt, was Mitbewerber als indirekte Starthilfe für die beiden Betreiber beurteilen.
«Das Ziel war, Lokale zu betreiben, in denen man selbst gern essen möchte – das haben wir erreicht.»
Den geneigten Besucher interessiert was anderes: Pop-up-Lokale, also nur für kurze Zeit aufpoppende (geöffnete) Restaurants, Bars et cetera, sind gegenwärtig sehr gefragt. Nichtfachleuten aber scheint der Aufwand dafür gross, die Kosten hoch – lohnt sich das überhaupt? «Pop-up- Betriebe sind vor allem Frequenzbringer», sagt Weingart. Und Arnold liefert ein praktisches Beispiel: Er verkaufe Gästen zuerst eine Bratwurst im «Museumspark», danach einen Burger im «Bingo Bongo», einem früheren Pop-up-Angebot in den Räumen des ehemaligen Restaurants «Du Théâtre», und schliesslich den Casual-Fine-Dining-Fünf- oder -Sechsgänger plus eine Weinrarität. Weshalb die Antwort laute, jeden- falls wenn man so aufgestellt ist wie Weingart und Arnold: «Ja, Pop-up lohnt sich.»
Wie sieht’s aus betreffend Bewilligungen für die flüchtigen Betriebe? Dem auswärtigen Besucher fällt es schwer, sich vorzustellen, dass die Verantwortlichen der Berner Behörden diese leichtfertig erteilen. Doch die Fachmänner haben andere Erfahrungen gemacht – man pflege ein gutes Verhältnis zu den Entscheidungsträgern, sagt Weingart. Und beschreibt deren Haltung als pragmatisch, nachvollzieh- sowie berechenbar. Arnold ergänzt: «Wir haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass wir Pop-ups realisieren und betreiben können, das kommt uns jetzt zugute.»
Neid muss man sich erarbeiten
Klingt stimmig, kann von Mitbewerbern aber als Bevorzugung der Platzhirsche, Pardon: Platzbären, verstanden werden. Gelegentlich finden Gastwirtschaftsunternehmer oder Anwohner, die Geschäfte der beiden liefen fast zu rund und zu gut – die Pop-up-Pläne für die Bar im Dalmazipärkli beim Marzilibad etwa erzeugte «Widerstand aus dem Quartier», stand im Bund. Wie sagt man doch: Lob bekommt man umsonst, Neid muss man sich erarbeiten.
Doch kleine Unstimmigkeiten lenken nicht davon ab oder überschatten, dass das odd couple, das ungleiche Paar, das sich hier fand, die Attraktivität des Berner Restaurant- und Barangebots gesteigert hat. Das Beste an der Zusammenarbeit? Tom Weingart: «Nicht mehr die ganze Verantwortung alleine auf den Schultern zu tragen.» Und Markus Arnold sagt: «Das Ziel war, Lokale zu betreiben, in denen man selbst gern essen möchte – das haben wir erreicht.»
Als Berner in Zürich schliesslich (seit dreissig Jahren) erlaube ich mir zu ergänzen: Ich habe neue Lieblingsplätze gefunden in meiner alten Stadt.
lass uns diese „geheimtipps“ mal zusammen auskundschaften. scheinen tatsächlich eine reise ins sonst etwas verschlafene bern wert zu sein.
Schöner und spannender Bericht, der Lust auf einen Ausflug nach Bern macht! 🙏👍Schicke ihn gleich an meine Berner Freunde und Verwandtschaft 😎