ICH, DER STARVERSTEHER
Die längste Zeit war's uncool, wenn Berühmtheiten Reklame machten. Warum verströmt es kein Gschmäckli mehr, wenn sie zusätzlich kassieren?
Leserinnen und Leser, geboren vor zirka 1973 (also 97 Prozent meines Publikums, schätze ich) plus ausgestattet mit einem Elefantengedächtnis, erinnern sich an den take aus «Lost in Translation», in dem Bill Murray einen amerikanischen Schauspieler spielt, der in Tokio einen Werbefilm für eine japanische Whiskymarke dreht: «For relaxing times – make it Suntory time.»
Der Auftritt ist nicht bloss lustig, sondern auch ein Beispiel für «Kunst imitiert das Leben, das Kunst imitiert». Was ich mit diesem komplizierten Satz sagen will – kurze Zeit danach begann George Clooney für Nespresso Reklame zu machen. Ähnlich wie die erfundenen Alkohol-Clips aus dem Kino waren seine tatsächlichen Kaffee-Videos nur ausserhalb Amerikas zu sehen (seit 2015 werden sie auch in Clooneys Heimmarkt ausgestrahlt).
Die längste Zeit fand man es eher uncool, wenn Filmstars und andere Popkultur-Berühmtheiten aus offensichtlichen Gründen Reklame machten. Das war was für Stars, die man schon zuvor kaum als Rollenmodelle wahrgenommen hatte – Thomas Gottschalk wirbt für Haribo und McDonald’s? Klar, wen kümmert’s? Aber, sagen wir, Bryan Ferry verkaufte Autos (er war mal «Freund des Hauses» von Brioni, immerhin) oder David Bowie hätte einen Finanzdienstleister empfohlen . . . Oh, no.
Für die Mehrheit der Millennials, mit Jahrgängen von Anfang der 1980er bis in die späten 1990er Jahre, sowie der Generation Z (zwischen 1997 und 2012) ist das anders. In ihrer jungen Einschätzung verströmt es keinen Hautgout, kein Gschmäckli, wenn Stars dank ihres Status Waren oder Dienstleistungen verkaufen und so zusätzlich kassieren. Beziehungsweise die kommerzielle Kraft einer Celebrity macht diese erst richtig gross, vor allem wenn sie oder er sich nicht in den Dienst von jemand anderem stellt, sondern eigene Angebote vermarktet. Denn Schauspielern, Musikmachen oder Modeln können viele, drum bringt’s das allein nicht. Wenn einer dagegen zusätzlich, in Personalunion, auch noch Ich-Unternehmer ist, dann hat das schon was. Und top of the pops sozusagen ist, wer so zum Milliardär aufsteigt.
Zur Beweisführung dient Instagram, ein Social-Media-Kanal oder «QVC für Millennials» (Amanda Hess in der New York Times; es handelt sich dabei um einen Dauerwerbe-TV- Sender). Früher liefen Lockvogel-Berühmtheiten Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit als angesehene Künstler zu verspielen, wenn sie ausverkauften, schreibt die NYT-Journalistin, heute sei’s das Gegenteil, «sie werden dafür respektiert, wie viel Einkommen sie auf diese Art erzielen».
Jede Generation hat die Berühmtheiten, die sie verdient, kann man schreiben ohne Groll.
Rihanna verkauft ihren über 90 Millionen Followern Unterwäsche der eigenen Marke (und versuchte es mit teurer Mode, zusammen mit der LVMH-Gruppe, was nicht funktionierte, Maison Fenty ist schon wieder fermé). Von Rita Ora – 16 Millionen Follower – gibt’s Bettwäsche und von Kim Kardashian formgebende Kleidung, unter anderem. Die Letztgenannte ist eine sogenannte Nichtleistungsprominente, einverstanden, ein Reality-TV-Star. Macht aber nichts, sie hat 210 Millionen Follower und soll Milliardärin sein. Kylie Jenner, aus derselben grossen Familie und mit vergleichbarem Lebensentwurf/ähnlicher Laufbahn, soll 700 Millionen Dollar (630 Millionen Franken) haben sowie 222 Millionen Follower. Das Vermögen von Kanye West schliesslich, früher Rapper im Hauptberuf und zurzeit noch Ehemann von Kardashian, wird auf 6,6 Milliarden geschätzt (halbzuverlässige Quelle: New York Post).
Jede Generation hat die Berühmtheiten, die sie verdient, kann man schreiben ohne Groll. Nachdenklich aber stimmt, wenn Berühmtheiten der Generation Ihres Kolumnisten – und somit wahrscheinlich auch seiner Leserinnen – sich der Sogwirkung der heutigen Alphamännchen und -weibchen nicht entziehen können. Catherine Zeta-Jones verkauft seit kurzem eigenen Kaffee und alles Mögliche, was damit zu tun hat (mugs et cetera); zur Entschuldigung darf festgehalten werden, dass sie keine Filmkarriere mehr hat, dafür Geld (45 Millionen Pfund). Noch merkwürdiger, für MvHs Verständnis auf jeden Fall, war jüngst der Auftritt von Bruce Springsteen als Lohn-Nehmer: Mit 71 Jahren (und 500 Millionen Dollar Vermögen) machte er erstmals Reklame, für Jeep.
Dieser Artikel erschien in der Weltwoche vom 29. April 2021.