MEIN DRESSDOWN-CODE
«Aussen hui, innen pfui» oder umgekehrt? Ihr Kolumnist erklärt, wie's geht mit der Kleidung in der Zeit, in der alles geht.
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Vor kurzem ging’s hier um Styler-Fragen – «darf man das?» und «wie sehen Sie denn aus?», Sie erinnern sich. Respektive, dass Antworten darauf was für Leute ohne Sorgen seien («Ich möchte Ihre Probleme haben, und das Vermögen der Familie Rothschild»). In der Hoffnung, viele Leserinnen und Leser mit wenigen Sorgen zu haben, dieses Mal eine Spalte zur neuen Männermode. Und zwar stufengerecht Mode für CEOs, Manager oder Unternehmer.
Hohe Wirtschaftsleute suchen oft Beachtung. Solche können sie bekommen durch geschäftliche Leistung, was anstrengend ist. Alternativ lässt es sich auch auffallen durch die Wahl der Kleidung respektive Schuhe. Als Elon Musk das Tesla-Modell Y zeigte, kam das neue Auto bei manchem Berichterstatter an zweiter Stelle – Musks massgefertigten schwarz-roten Air-Jordan-1-Nike-Turnschuhe stahlen dem Elektromobil die Show.
Manche Manager produzieren geschäftlich mehrheitlich Flops, liefern dabei aber eine kommentierenswerte Optik, das geht auch. Nachdem Urs «mein Freund» Rohner neulich weitere milliardenteure Anlagefehlentscheide der Credit Suisse verbreiten musste, zeigten viele Bilder in Zeitungen und auf News-Webportalen den damaligen CS-Präsidenten im von ihm bevorzugten legeren Aufzug, mit offenem Hemd unter nicht zugeknöpftem Jackett (er mag Tom Ford).
Die Liste liesse sich fortschreiben. Stattdessen folgt von Ihrem Kolumnisten eine Antwort darauf, weshalb immer mehr Leistungsträger nicht länger Seidenkrawatten-, Dreiteilige-Anzüge- und Rahmengenähte-Schuhe-Träger sein wollen. «Wir sind hochdynamisch und schrecklich locker, so sieht’s aus», ist ein Teil der Erklärung. Eine weitere: Marketingtechnisch steht man lieber für ein Start-up als für eine hundert Jahre alte Traditionsfirma, weil das cooler ist.
Die amerikanische TV-Serie «Billions» zeigt scharf, wie gegenwärtig so oft im Fernsehen, worum es geht: Hedgefonds-Milliardär Bobby Axelrod wird vom zuständigen Staatsanwalt von Manhattan bedrängt. Endlich, meint der Zuschauer, habe der konservativ gekleidete Staatsdiener genügend Beweise, um den Superinvestor wegen Insidergeschäften um sein Geld und vielleicht ins Gefängnis zu bringen. Doch immer ist Bobby, im Kaschmirkapuzenpullover von Loro Piana und auf Designerturnschuhen, wendiger und dem Gegenspieler voraus (zurzeit läuft die fünfte Season, hierzulande nur auf Sky Show leider, nachdem Swisscom-Verantwortliche – ohne Krawatte und Jackett vermutlich – Sky Atlantic aus ihrem Senderangebot kippten).
Bei mir ist die ganze Woche casual friday, also muss ich es geschafft haben.
Kleidung sei Kommunikation ohne Worte, sagt man. Und die Aussage eines solchen Outfits: Ich bin einer des obersten Einkommensempfängerprozents der Welt respektive, wenn es um Hedgefonds-Milliardäre geht, des obersten Prozents des obersten Prozents. Und kann’s mir erlauben, rumzulaufen wie ein Praktikant oder Teilnehmer einer Klimademo – Sweatshirts mit Kapuze waren die längste Zeit Hobbyanarchisten oder anderen Leuten, die sich plötzlich unkenntlich machen mussten, vorbehalten.
Der sogenannte Distinktionsgewinn nach Pierre Bourdieu, einem französischen Soziologen, der seit der Erfindung von Männermode zirka im 17. Jahrhundert von feiner Kleidung und dem damit verbundenen Unterschied stammte, muss heute aus anderer Quelle bezogen werden. Schliesslich kann sich jeder durchschnittliche Kader schicke Stoffe beziehungsweise Designerstücke kaufen.
Stilprägend für die neue Managermode waren Alphamänner der Technologiebranche. Die Mischung des Silicon Valleys aus Lage – wenige Meilen von San Francisco, dem einstigen Hippie-Hauptsitz, entfernt – und unangepasster Geisteshaltung der Technologietüftler, brachte den Dressdown-Look hervor. Dieser Dresscode, der keiner sein wollte, hat über den erwähnten Gedanken «bei mir ist die ganze Woche casual friday, also muss ich es geschafft haben» hinaus weitere Vorteile: Die Stücke sind bequem, und zudem verbreiten sie Gründergeruch sowie Fabrikantenflair – es könnte ja sein, dass in einem, der im Rollkragen daherkommt, wie einst Steve Jobs daherkam, auch ein bisschen Steve Jobs steckt.
Könnte sein, tatsächlich ... Wenn die Wahrscheinlichkeit auch niedrig ist. Naheliegender dagegen ist, dass bloss ein Mister Mittelmass drinsteckt. Aber wenigstens einer mit Style.
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