MEIN FREUND URS
Wie und weshalb der Credit Suisse-Präsident mal die Nähe Ihres Kolumnisten suchte.
Wenn Sie das lesen, ist Urs Rohner längstens noch dreizehn Tage Credit-Suisse-Präsident – letzte Chance also, über ihn zu schreiben. Danach dürfte mein Freund bald old news sein, beziehungsweise sich bloss noch Aktionäre, die während seiner zehn Jahre als oberster Entscheider bis 70 Prozent verloren, an ihn erinnern (und allenfalls Haftungsklage erheben). Zur Erinnerung: Er kassierte über vierzig Millionen Franken für seine Führung der zweitgrössten Schweizer Bank. Wegen zweier Fehlleistungen, die in den vergangenen Wochen bekanntwurden und noch mehr Schaden anrichteten als zahlreiche Flops zuvor, verzichtete er auf eine Zusatz-fee von 1,5 Millionen, die ihm als Vorsitzendem des Verwaltungsrats zustand.
Wir lernten uns 2008 kennen, privat, beim Frühstück in einem Restaurant; «er blieb mir als sympathisch und smart in Erinnerung», stand danach in meiner Weltwoche-Kolumne «MvH». Das nächste Mal begegnete ich ihm vor der Swiss-Awards-Livesendung des Schweizer Fernsehens, mein Tagebucheintrag lautete: «Er sagte, alles, was ich jemals geschrieben habe über seine Zusammenarbeit mit dem Zurich Film Festival, sei falsch. Er freute sich nicht, so sah es aus» (die CS war Geldgeberin des Filmfests).
Was war vorgefallen inzwischen? Cherchez la femme, würde der Franzose sagen. Über Rohners damalige Freundin/heutige Frau, die ich schon länger sozial kannte, berichtete ich gelegentlich im Zusammenhang mit dem von ihr mitgegründeten Zurich Film Festival, immer faktentreu, nicht immer unterwürfig, wie in der hiesigen Society-Reporter-Welt üblich, fand ich.
Im Herbst 2010, anlässlich des Filmfestival-Gala-Abends, notierte ich: «Urs Rohner sagte, ich sei elegant wie immer; wegen meiner Schuhe (Desert-Boots von Russell & Bromley, pflaumenfarben).» In den davorliegenden Monaten war fast so was wie eine bromance entstanden. Schade, dass er den Spruch von seiner «weissen Weste» erst später, inzwischen CS-Präsident, brachte. Sonst hätten Kollegen die lässige Bildlegende «Weisse Weste trifft pflaumenfarbene Schuhe» unter unserem Foto drucken können. Immerhin erschien diese: «Auch Banker zeigen sich wieder bestens gelaunt. Allen voran CS-Vize Urs Rohner. Während sich seine Partnerin Nadja Schildknecht ohne ihn fotografieren lässt, spricht er mit Weltwoche-Kolumnist Mark van Huisseling» (Blick-Bericht über das World Economic Forum).
Wir tauschten uns nicht bloss über Modetrends aus, nebenbei erwähnt. Wir besprachen auch weniger wichtige Dinge. Während eines After-Work-Drinks trug ich ihm den New Yorker-Artikel mit der ungefähren Headline «Wie gross ist der volkswirtschaftliche Nutzen des Investment-Bankings? Sozusagen null» vor. Er finde die Kernaussage interessant und womöglich zutreffend, sagte er.
«Urs Rohner sagte, ich sei elegant wie immer; wegen meiner Schuhe (Desert-Boots, pflaumenfarben).»
Dann erzählte mir einer, unsere «Männerfreundschaft» sei entstanden, nachdem Urs sich in Öffentlichkeitsarbeit habe beraten lassen. «Suchen Sie nicht die Konfrontation, pinseln Sie ihm den Bauch», soll der Coach empfohlen haben. War ich mal wichtig für Rohner? Vermutlich nicht. Andererseits – weshalb einen Autor, der ein bisschen beachtet wurde, gegen sich aufbringen, wenn man ihn für sich einspannen kann? Nach Urs’ Aufstieg zum Chairman fragte mich mein Verleger für die Story «Wie Zürich zu seinem Film Festival kam» an. Ich sagte ab – «ich treffe Urs privat, etwa auf Ibiza [wo er auch ein Haus hat], wir sind fast befreundet, mir fehlt die Distanz.»
Als oberster Chef hatte er immer mehr zu tun – CS-Strafzahlungen/-Rechtskosten unter ihm: über dreizehn Milliarden Franken –, wir sahen uns weniger, fair enough. Und wenn wir uns begegneten, gab’s keinen Austausch, stattdessen Vorträge. Einmal erklärte er mir lange, weshalb es im Finanzkrisen-Film mit Namen «Margin Call» eben gerade nicht um einen margin call gehe.
Kollege Kurt W. Zimmermann beschrieb in dieser Zeitung jüngst Jonas Projer, Sendeleiter Blick-TV und nächster Chef der NZZ am Sonntag, als Typ, der dem Hauselektriker rechthaberisch erklärt, wie man eine Steckdose richtig montiert. Das würde Rechtsanwalt Rohner wohl unterlassen, denn aquila non captat muscas (der Adler fängt keine Fliegen). Stattdessen erklärt er Leuten, die ein Berufsleben auf der Bank zubrachten, wie das Bankgeschäft geht.
Dieser Artikel erschien in der Weltwoche vom 15. April 2021.