Mein Herz für Milliardäre
Wo sind die Reichenversteher, wenn Impfdrängler und Richemont-Boss Johann Rupert sie braucht?
Die vergangene Woche lieferte Einblicke in die wunderbare Welt der anderen Hälfte. Und, ehrlich, was ist spannender als der Blick durchs Schlüsselloch ins Leben eines Superreichen? Mir fällt nicht viel ein, jedenfalls in der ausserordentlichen Lage, in der wir uns im Augenblick befinden.
Worum es geht: «Südafrikanischer Milliardär fliegt in die Schweiz zur Corona-Impfung», enthüllte ein Journalistenkollege im Tages-Anzeiger. «Thurgau impft einen Milliardär aus Südafrika – vor allen andern», stand einen Tag später in der Neuen Zürcher Zeitung beziehungsweise «Südafrika-Milliardär und Richemont-Boss Johann Rupert (70) ist Impfdrängler», war im Blick zu lesen.
Für MvH-Folger, die sich weniger um News kümmern: Der reichste Mann Südafrikas, Johann Rupert, liess sich im Thurgau vorzeitig gegen Covid-19 impfen. «Zur Luxus-Impfung gelangte er dank vorzüglichen Kontakten zur Hirslanden-Gruppe» (NZZ online). Was als Untertreibung beschrieben werden darf, er ist massgeblich an der Privatspital-Unternehmung beteiligt. Weiter ist er Hauptaktionär von Richemont, dem Konzern, in dem die Luxusmarken Cartier, IWC und Montblanc vereint sind; laut Bilanz beträgt sein Vermögen schätzungsweise 4,5 bis 5 Milliarden Franken, er hat Wohnsitz in Genf.
Und wo sind die Reichenversteher, wenn man sie braucht? Ihr Kolumnist, erlaube ich mir zu erwähnen, ist einer. In einem Artikel, den ich einmal schrieb, ging ich der Frage nach: «Sind Leute mit sehr grossen Vermögen anders als du und ich – oder haben sie bloss mehr Geld?» Antwort: Es gibt Wesensmerkmale, die Reiche und Superreiche öfter aufweisen als Leute wie du und ich: Sie sind ungeduldiger. Sie haben ein stärker ausgeprägtes Anspruchsdenken. Vor allem aber sind sie hauptbeschäftigt mit: Geld. Mit Johann Rupert bin ich ein wenig bekannt, übrigens.
Wir begegneten uns vor über zehn Jahren während der Mille Miglia, dem Rennen für klassische Autos auf Norditaliens Strassen; er war mit einem Ferrari 250 GT von 1957 am Start, ich war Co-Pilot des Mercedes-Benz 300 SLR von 1955, dem «Titanen» (Gazzetta dello Sport), den Jochen Mass, der ehemalige Formel- 1-Fahrer, lenkte.
Im Fahrerlager überboten sich die Teilnehmer mit Schwänken aus ihren Herrenfahrer-Leben, Johanns Story – unter gentlemen drivers duzt man sich – war die beste: Er sei in Südafrika mal mit 284 km/h geblitzt worden. Erlaubt waren 80 – die höchste bis damals gemessene Übertretung. Weshalb ihm der Polizist mitteilte, er müsse ihn vorübergehend verhaften, unangenehmerweise. Also habe er, Johann, versucht, Thabo (Mbeki, seinerzeit Präsident des Landes) auf dem Mobiltelefon zu erreichen, doch ohne Glück, es geschah an einem Freitagabend. Er sei der reichste Mann Südafrikas, habe er dem Polizisten gesagt, und könne nicht das Wochenende im Gefängnis verbringen, wegen seiner Sicherheit. Der erwiderte, er verstehe, doch es liege nicht in seinen Händen, der Blitzkasten sei versiegelt, die Raserfotos ausser Reichweite. «There must be a way», es muss einen Weg geben, habe Johann dagegengehalten – in der Folge sei der Blitzer inklusive belastender Bilder gestohlen worden, kurze Zeit später habe die Polizeistelle einen neuen, besseren erhalten, von einem unbekannten Spender...
Was uns zurückbringt zum Start, nicht der Mille Miglia (leider – diese war ein Top-Ten-Ereignis meines Lebens bisher), sondern der Geschichte: MvH überraschen die Rückmeldungen auf die Impfdrängler-Episode – über 400 Kommentare von Leserinnen und Lesern im Tagi, «fast alle ungläubig bis entsetzt» – ebenso wie Ruperts Reue («Das war ein Fehler, aber es war legal», Sonntagszeitung).
Well, willkommen in der wirklichen Welt. Natürlich stellt sich ein Bewohner dieser nicht hinten an, wenn’s auch zuvorderst geht – wozu ist man a) ein Superreicher und b) Mitbesitzer der Privatklinikgruppe, die in einer Ecke des Landes, in dem man seit vielen Jahren einen Haufen Steuern zahlt, die begehrte Impfung durchführt (Rupert: «Ich will auf keinen Fall das Virus bekommen», Sonntagszeitung).
Johann Rupert hat genau das getan, was die meisten getan hätten, wenn sie’s denn tun könnten. Sein Fehler war, dass er sich dabei erwischen liess.
Dieser Artikel erschien in der Weltwoche vom 4. Feb. 2021