MvH, ausserirdisch
Sind wir Erdlinge bereit für ein Treffen mit einer fremden Zivilisation? Und sind Sie, Leser, bereit für was anderes von Ihrem Kolumnisten?
Heute beginne ich mit der vielleicht besten Zeile überhaupt: «Heute mal was anderes.» Das Problem dieses Einstiegs ist, dass man danach liefern muss. Also verlässt Ihr Kolumnist sein angestammtes Einsatzgebiet.
Willkommen im wunderbaren Weltraum. Ebendort fiel einem kanadischen Astronomen mit Namen Robert Weryk am 19. Oktober 2017 etwas Ungewöhnliches auf – während der Sichtung von Bildern, die ein Superteleskop, das sich auf einem Vulkan der Insel Maui befindet, aufgenommen hatte, entdeckte er einen Lichtpunkt. Dieser stammte von einem sich mit einer Geschwindigkeit von 200 000 km/h fortbewegenden Objekt; das ist fast fünfmal schneller als die Asteroiden, die es auf den Fotos normalerweise zu sehen gibt.
Worum genau es sich beim interstellaren Objekt ’Oumuamua handelt? Grosse Frage.
Weryk und Kollegen mit anderen Superteleskopen verfolgten den Punkt: Das Objekt leuchtete mal mehr, mal weniger hell. Was bedeutete, es hatte wohl eine merkwürdige Form, lang wie eine kosmische Zigarre oder flach wie eine himmlische Pizza. Und es war klein, so gross wie ein Fussballfeld vermutlich. Es musste ein interstellares Objekt sein; der Besucher aus einem anderen Sonnensystem erhielt von der International Astronomical Union die Bezeichnung 1I/2017 U1 respektive wird «’Oumuamua» genannt, was auf Hawaiianisch «Kundschafter» heisst.
Worum genau es sich bei ’Oumuamua (ausgesprochen «Oh-mua-mua») handelt? Grosse Frage. Ein Astronomen-Lager schlussfolgerte, es sei ein Mini-Komet (ohne erkennbaren Schweif). Ein anderes war der Meinung, ’Oumuamua bestehe hauptsächlich aus gefrorenem Wasserstoff und sei sozusagen weggeschmolzen, bis es unseren Raum erreichte. Die «spektakulärste Darstellung» (Pulitzerpreisgewinnerin Elizabeth Kolbert im New Yorker) kam von Avi Loeb: ’Oumuamua sei kein interstellares Objekt, stattdessen ein Erzeugnis einer fremden Zivilisation, behauptete der Astrophysiker.
Eine spektakuläre Antwort zweifelsohne, doch ist es die richtige? Schwer zu sagen (das war eine Untertreibung). Loeb auf jeden Fall ist nicht irgendein Astrophysiker. Sondern ein eminenter (New Yorker): Vorsitzender der Harvard-Astronomieabteilung und Mitglied wenigstens vier weiterer wichtiger Institutionen auf diesem Feld plus Berater der «Breakthrough Starshot»-Initiative, bei der es um das Erarbeiten von Grundlagen geht, um Alpha Centauri zu erreichen, das nächstgelegene Sternensystem (25 amerikanische Trillionen Meilen von der Erde entfernt; bezahlt wird die Forschung vom russisch-israelischen Milliardär Yuri Milner, Mark Zuckerberg sitzt im Board).
Loebs Kollegen waren mehrheitlich nicht überzeugt von seiner Erwägung und mochten diese nicht (eine weitere Untertreibung). Worauf der die Welt der Wissenschaft verliess und ein Buch über ’Oumuamua für Laien schrieb. Ich als Laie sage voraus, «Ausserirdisch: Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten» dürfte das bedeutendste Sachbuch dieses Jahres sein, obwohl es erst Februar ist.
Im Grunde geht es darin weniger um 1I/2017 U1, sondern mehr um den Autor (wie in jedem guten Buch). Er wollte eigentlich Philosoph werden, entschied sich aber für Astronomie, weil er herausfand, dass man damit Probleme angehen könne, auf die Philosophie oder Religion keine eindeutigen Rückschlüsse zuliessen. «Wie entstand das Universum? Was ist der Ursprung des Lebens? Sogar auf die Frage ‹Wie lebt man ein lebenswertes Leben?› liefert der Blick in den unendlichen Raum Antworten», schreibt er. Und dann haben wir noch nicht über die Frage «Sind wir Erdlinge bereit für ein Treffen mit Vertretern einer fremden Zivilisation?» geredet (Loeb findet, nein). Solche Sätze, finde ich, lassen einen sich ähnlich klein fühlen, wie wenn man erfährt, dass unsere Sonne 4,6 Milliarden Jahre alt ist und noch 2,4 Milliarden Jahre vor sich hat, bis sie verglüht – und alles Leben auf der Erde enden wird. Oder dass es 1,5 bis 2,4 Milliarden Planeten in unserer Galaxie gibt, die theoretisch Lebewesen beherbergen könnten.
Zum Ausstieg etwas von dem, was man «Fallhöhe» nennt, das Horoskop für Wassermänner nämlich (aus dem Amtsblatt des «Amts für Ideen» von Christian Jott Jenny, Unterhalter und St. Moritzer Gemeindepräsident): «Eine Saturn-Konstellation im Galaxus bringt Sie zu Mediamarkt.»
Dieser Artikel erschien in der Weltwoche vom 11. Feb. 2021