Wenn man die Spiegel-Bestsellerliste anschaut, erfährt man, was man schon befürchtet hat: Leser und vor allem Leserinnen suchen Hilfe. Im Februar beispielsweise waren die Plätze 1, 2 und 3 bei den Taschenbüchern belegt von selfhelp books («Das Kind in dir muss Heimat finden – Der Schlüssel zur Lösung (fast) aller Probleme» oder «Von jetzt auf Glück – Wiederfinden, was so nah liegt») respektive Ratgebern («Frei und unverbogen – Kinder ohne Druck begleiten»).
Ihr Kolumnist ist immer an Hilfe und Ratschlägen interessiert (plus gönnt anderen Schreibern ihre Honorare). Er neigt bloss zu Zweifeln, ob die Mehrheit der Helferinnen sowie Ratgeber mit ihren Texten irgendjemandem hilft ausser sich selbst.
Anlageberater etwa verdienen Geld in der Regel mit Beratung, nicht mit Anlagen. Und Glück-finden-Buch- oder Erziehungsratgeberautorinnen sind vermutlich nicht glücklicher als das Bevölkerungsmittel beziehungsweise haben keine lieberen, klügeren, besseren Kinder. Ich bin der Schreiber des Buchs «How to Be a Star», nebenbei erwähnt, und mein neustes heisst «Mann, Baby, Mann – Wenn aus Männern Väter werden».
Im Normalfall helfen Selbsthilfebücher, aber auch Lebens- oder Business-Beratungen beziehungsweise Nahrungsergänzungsmittel, die widerstandsfähiger machen / zu vollerem Haar verhelfen / die sexuelle Lust steigern sollen, wenig. In den besten Fällen sind sie zielführend, was super ist (auch wenn’s mehr mit dem Placeboeffekt zu tun hat). In den seltenen schlechtesten Fällen richtet die «Lösung» Schaden an, worum ich mich hier nicht kümmern kann.
Weil ich Spaltenzentimeter benötige für eine Ausgangslage, in der ein edlerer Mensch Anteilnahme zeigen würde – nämlich wenn ein Helfer trotz (oder wegen) seiner Einsichten die eigenen Probleme nicht lösen kann. An Jordan Peterson lässt sich zeigen, was ich meine: Ich habe seine «12 Rules for Life» gelesen, wie Millionen andere auf der Welt. Der Professor und Psychologe aus Kanada kann schreiben, keine Frage, und denken ebenfalls, so sieht’s aus. Ich mochte etwa seine Recherche über die Soziobiologie des Hummers.
Doch wo blieben die Erkenntnisse, seine zwölf Regeln fürs Leben eben, als er vergangenes Jahr einen meltdown, Zusammenbruch, hatte – wie viel half dann «Steh aufrecht und mach die Schultern breit» (wie im Buch am Beispiel des Krustentiers erklärt, falls ein solches Schultern hätte)? Was nützte ihm seine, verkürzt, «Hunde und Kinder, die nicht gehorchen, verdienen Schläge»-Sichtweise, als er sich infolge der Krankheit seiner Frau mit Benzodiazepinen sedierte? Und was trug die Bibel, in der er sonst Antworten findet, zur Lösung bei, als er versuchte, das Feuer mit Benzin zu löschen respektive sich von den Benzos mittels Ketamin zu lösen?
Ob die Mehrheit der Helferinnen sowie Ratgeber irgendjemandem hilft ausser sich selbst?
Jetzt ist der «gefährliche Denker» (in sozialliberalen Zeitungen und Zeitschriften so beschrieben, weil er a) ein mittelalter weisser Mann ist, b) ein Konservativer und c) ein Chauvi vielleicht) wieder fast gesund und auferstanden. Denn eine Art Fortsetzung seiner Regeln kommt raus («12 More Rules»); ein Verlagsmanagertrick übrigens, wenn ein Autor Erfolg hatte, aber (noch) nicht das Zeug dazu, einen neuen Bestseller zu schreiben.
Peterson ist nicht der Einzige, der hohe Standards setzt und verbreitet; seine Story hat bloss Aktualität (und vielleicht war sein Rockstar-Auftritt zuvor ein wenig zu pomphaft). Und er ist ein prima Platzhalter für andere Gross-Ego-Alphamännchen- und -weibchen des Hilfe-Genres, die wissen, wie die Welt und das Leben funktionieren (bis sie es vielleicht mal anwenden sollten – und dann nicht wissen, wie’s geht); von Paulo-«Krieger des Lichts»-Coelho über Rolf-«Klardenker und Gutleber»- Dobelli bis Dechen-«Buddha-Sängerin und -Heilerin»-Shak-Dagsay.
Schon klar: Niemand wird gezwungen, solche Bücher zu lesen oder Mantras zu hören beziehungsweise ihren Verbreitern zu glauben (genauso wenig wie dem Autor dieser Spalte). Was ich aber in Erinnerung rufe – vor allem denen, die nicht mit mir einig sind –, ist die Zeile der amerikanischen Alltagsdenker Hank Shocklee, Carlton Ridenhour und Eric Sadler, bekannt als Public Enemy: «Don’t believe the hype», trau dem Rummel nicht.
Dieser Artikel erschien in der Weltwoche vom 4. März 2021.