MvHs 15 Minuten
Was Ihr Kolumnist zurzeit macht respektive wie er sich behilft, um überhaupt noch was machen zu können.
Die sogenannten Feiertage verbrachte ich in Laax. Darüber, ob Wintersportanlagen offen bleiben durften, war ja teilweise heftig gestritten worden. Verkürzt lässt sich sagen: Vertreter von Kantonen, in denen es keine erwähnenswerten Angebote gibt (St. Gallen, Zürich), waren dagegen, solche mit richtigen Skiorten (Bern, Graubünden, Wallis) dafür. In der Folge liefen die Lifte vor der Haustüre Ihres Kolumnisten, natürlich.
Coronavirus-bedingt wurden die Nutzerzahlen gedeckelt, und zwar ein Drittel unter den Spitzenwerten des Vorjahres oder des Schnitts der Vorjahre, so viel ich weiss; ich habe die genaue Übersicht verloren. Jedenfalls meldeten die Verantwortlichen der Weisse-Arena-Gruppe, der Anlagenbetreiber in Laax, 8000 «Gäste» an guten Tagen, verglichen mit 15 000 in der Vergangenheit («Gäste» steht in Anführungszeichen, weil es zwei Personen wenigstens 344 Franken kostete, falls sie ins Skigebiet befördert werden wollten – vier Eco-Tagespässe, günstigste Kategorie, es mussten wenigstens zwei Tage gebucht werden, dies zum Schutz vor Tagestouristen). In der Folge gab es spürbar weniger Andrang vor den Liften / auf den Pisten. Mit anderen Worten: Man fühlte sich ein wenig wie ein Pandemiegewinner.
Für zirka fünfzehn Minuten. Ungefähr so lange dauerte es in meinem Fall, bis die Vorstellung einsickerte, wie zähfliessend der vor einem liegende kalte und mässig windige Tag vergehen würde. «Die Zeit schlurft wie ein altes Weib auf Latschen», schrieb Wolfgang Borchert in «Draussen vor der Tür», zwar in einem anderen Kontext – über Hungernächte eines Kriegsheimkehrers –, doch der Entwurf passt. Restaurants im Skigebiet waren geschlossen beziehungsweise durften nur für Take-away betreten werden; «Take away» im Wortsinn, man musste sein Brötchen im Gelände verzehren, nicht mal anlehnen an der Lokalmauer oder dem Terrassengeländer war erlaubt. Einverstanden: Für MvH ist Ski- respektive Snowboardfahren mittlerweile Lifestyle, nicht länger Sport. Also sind Pausen mit doppeltem Espresso (empfehlenswert) im «Caffè No Name» oder Polenta mit Alpkäse vom offenen Feuer (fein) in der Ustria Startgels von ähnlicher Wichtigkeit wie Abfahrten.
Der Fairness halber soll erwähnt werden, dass die Benutzung von Restauranttoiletten im Tagespasspreis inkludiert war. Was zu den vielleicht anmutigsten News der vergangenen Tage überleitet: «Archäologen entdecken eine Imbissbude in Pompeji – mit bunten Bildern des Speisenangebots und derben Graffiti». Die Aussage, die da jemand vor 2000 Jahren in schönstem Latein neben eines der Bilder am Tresen geritzt hat, sei geradezu zeitlos, wenn auch von der Thematik her besser in sanitäre Einrichtungen passend: «Nicias schamloser Scheisser» (NZZ online). Richtig, heute findet man in Imbissbuden-WCs allenfalls auf sprachlich eindeutig niedrigerer Höhe angesiedelte Zeilen wie «Wotsch figge? 079 834 ...». Sic transit gloria mundi, nicht wahr?
«Papa, was waren Klubs?» hatten wir schon, «Papa, was waren Kinos?» ebenfalls. Muss die traurige Aufzählung bald fortgesetzt werden mit «Papa, was waren Restaurants?»? Vermutlich nicht, immerhin haben solche sämtliche Widrigkeiten seit mindestens Pompejis Untergang überstanden. For the time being aber sind Restaurants mal wieder zu. Ausser man ist Hotelgast.
Und das geht, nebenbei erwähnt, nicht bloss während der Ferien in einem Resort, sondern auch im stieren Januar in der eigenen Stadt. In Zürich beispielsweise lässt sich im Hotel «Helvetia» ein Viergänger, zubereitet unter Küchenchef Karim Schumann, im Zimmer verzehren (für zirka 120 Franken je Person, ohne Getränke, mit Unterkunft – egal, ob man über- nachtet oder nach dem Dessert auscheckt); ich fand das Essen/Angebot prima.
Wo ich auch noch war, kurz vor dem Shutdown: im «Leuehof» von Nenad Mlinarevic und Valentin Diem. Dabei handelt es sich um ein Pop-up- Restaurant an der Bahnhofstrasse 32. Das Essen weist die Qualität auf, die man von Mlinarevic gewohnt ist («Bauernschänke», «Neue Taverne»), die Playlist von Diem ist hörenswert (auch auf Spotify), die alte Schalterhalle der Bank Leu stunning (mit Werken von Künstlern der Galerie Mai 36, unter anderem); Tische und Stühle sind leider mickrig, doch das nimmt man in Kauf. «Wenn alles gut läuft, sind wir ab dem 23. Januar 2021 mit voller Energie zurück», schrieben die Köche/ Unternehmer (voraussichtlich bis 27. Februar). That’s the spirit, in meinen Augen, obwohl wir in der Zwischenzeit gelernt haben, dass nicht alles gut lief. Ich wünsche Ihnen nur das Beste zum neuen Jahr dennoch.
Dieser Artikel erschien in der Weltwoche vom 7. Jan. 2021