MvH’S SECRET
«Wir mussten aufhören, anzubieten, was Männer wollten», sagt der CEO der Wäschemarke Victoria's Secret. Stattdessen beginnen zu sein, was Frauen wünschen. Was das ist, wüsste Ihr Kolumnist auch gern.
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Alessandra Ambrosio, Laetitia Casta, Karlie Kloss, Heidi Klum, Miranda Kerr ... Was haben diese fünf Frauen gemeinsam? Sie waren sogenannte Victoria’s-Secret-Angels, Models, die die Lingerie der amerikanischen Wäschemarke – auf Absätzen, mit bis zu fünfzehn Kilo schweren Flügeln am Rücken – einem Millionenpublikum präsentierten. Und wohl den Richtwert der Sexyness darstellten (zusammen mit zirka dreissig weiteren Engeln).
Ah, längst ist diese wunderbare Welt eine andere und sind dies vergangene Zeiten. Der Marktanteil des 1977 gegründeten Unternehmens mit heute 32 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie 1400 Geschäften weltweit ist von 32 Prozent im 2015 auf 21 im vergangenen Jahr gefallen (in Amerika; das reicht immer noch für Platz eins, der nächste Mitbewerber hat 16 Prozent des Markts).
Victoria’s Secret, liest man, ist mindestens so past its prime, über seine Blütezeit hinaus, wie die erwähnten Engel. Schuld daran sei, verkürzt, die von den im Unternehmen verantwortlichen Männern erdachte Vorstellung, was sexy ist. Weshalb jetzt ein neues Geschäftsmodell verfolgt wird: was Frauen wollen, nämlich.
Was genau das ist? Ihr Kolumnist kann keine Antwort darauf geben – er hat zwar bisher 34 Jahre seines Lebens in Zweierbeziehungen mit Frauen zugebracht, doch er ist immer noch ein Mann, ein mittelalter zudem. Dennoch versucht er’s: Frauen wollen einen Mann, der will, was sie wollen, aber weil er es will. Tönt kompliziert, einverstanden, aber immer noch einfacher als die zu beschreibende Realität.
Auf einer solchen Mutmassung kann kein Geschäftsmodell fussen, schon gar nicht das einer Fünf-Milliarden-Dollar-Firma (Verkäufe 2020). Sicher ist dagegen: «Selten wurde eine in ihrer Branche bestimmende Firma kulturell als so hinterherhinkend blossgestellt wie Victoria’s Secret infolge der #MeToo-Bewegung» (New York Times, NYT). Seit Februar hat das Unternehmen darum einen neuen Chef (auf CEO John Mehas folgte Martin Waters), der ist zwar auch ein Mann, aber immerhin einer, der sagt: «Wir mussten aufhören, anzubieten, was Männer wollten. Stattdessen damit beginnen, das zu sein, was Frauen wünschen.»
Weiter wurden Frauen befördert – Marketingchefin ist seit kurzem Martha Pease –, erstmals wurde Muttertags-Werbung veröffentlicht (das Fest war zuvor für «nicht sexy» befunden worden), und die Angels wurden «freigelassen» (Firmensprache für «gefeuert»), da sie nicht mehr relevant seien. Auf die irrelevanten Schönheiten folgten, als bislang sichtbarster move, sieben Frauen, genannt das «VS-Kollektiv». Darunter Megan Rapinoe, eine 35-jährige Fussballerin und Gender-Gleichheitskämpferin mit pinkem Kurzhaar; Paloma Elsesser, 29, gemischtrassige Inklusivitäts-Befürworterin und bisher wohl einziges Vogue-Cover-Model mit Konfektionsgrösse 40, und Valentina Sampaio, ein brasilianisches Transmodel.
Die Angels wurden «freigelassen» (Firmensprache für «gefeuert»), da sie nicht mehr relevant seien.
Ob das VS-Kollektiv weiss, was Frauen wollen? «Als lesbische Frau denke ich viel darüber nach», wird die Fussballerin in der NYT wieder- geben, «und komme zum Schluss: Funktionalität ist möglicherweise am heissesten [‹the sexiest thing›], und manchmal ist ‹einfach cool› auch sexy.» Hm.
Damit wir uns richtig verstehen: Victoria’s Secret-Besitzer Leslie Wexner, 83, ist ein Grüsel möglicherweise. Sicherlich aber einer, der auf die Falschen hörte – er liess sich etwa von Jeffrey Epstein beraten, dem vorbestraften Freier minderjähriger Prostituierter sowie des Missbrauchs zahlreicher junger Mädchen Angeklagten (er brachte sich vor knapp zwei Jahren in Untersuchungshaft um). Zusammen mit dem ehemaligen Marketingchef Ed Razek habe Wexner in der Firma frauenfeindlich gehandelt, gemobbt und belästigt (oder dies zumindest zugelassen, Quelle: NYT). Solche Zustände sind «nicht sexy» im besten Fall, wahrscheinlich sogar übel oder schlimmer.
Persönlich hatte ich allerdings den Eindruck, die Leute hinter dem Warenangebot wüssten ziemlich genau, was Frauen wünschen. In fast jedem Victoria’s-Secret-Laden, den ich in den vergangenen Jahren aufsuchte, standen Kundinnen und Kunden – Letztere kauften Geschenke, so sah’s aus – Schlange. Eine Partnerin dagegen, die sich zum Valentinstag «funktionale» Unterwäsche wünschte, hatte ich noch nie.
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