NO SEX PLEASE, WE'RE BANKERS
Only Fans, eine Internet-Plattform mit mehrheitlich erotischem Inhalt, zeigt, wie Männer ticken. Und dass der Markt funktioniert.
The medium is the message», schrieb Marshall McLuhan vor fast sechzig Jahren, das Medium ist die Botschaft. Der kanadische Kommunikationstheoretiker dachte dabei vermutlich nicht an soziale Medien wie «Only Fans», eine Plattform im World Wide Web. Seine Erkenntnis ist im Fall des Portals, auf dem sich Berühmtheiten aus der realen und virtuellen Welt (Rapperin Cardi B oder Influencer) sowie, vor allem, sogenannte erotic stars (Sexvideodarstellerinnen) für zahlende Abonnenten zur Schau stellen, aber spot on – sie trifft den Nagel auf den Kopf.
Zurzeit sorgt die Londoner Firma Fenix International des 77-jährigen Guy Stokely und seiner beiden Söhne Tim und Thomas, die mit zirka 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Medium betreibt, für ähnlich viel News wie die content creators, Inhalte-Erzeuger, von Only Fans. Grund des Interesses: Erst fiel das Portal mit fast unfassbarem Wachstum auf, in der Financial Times FT wurde es als «heisseste Website der Welt» beschrieben. Dies, nachdem die Transaktionen – Beträge, die Nutzer für Bilder, Videos und private Fan-Botschaften zahlen, im Schnitt 5 bis 50 Dollar im Monat – im Jahr 2020 um 615 Prozent auf 1,7 Milliarden Pfund (2,1 Milliarden Franken) hochgeschossen waren. Wodurch der Unternehmensgewinn, er entsteht dank 20 Prozent Kommission auf den Transaktionen, von 53 auf 300 Millionen Pfund anstieg.
Rosa Schüsse
Diese Entwicklung kam zustande, weil die Nutzerzahl von 20 auf 120 Millionen zunahm; im Pandemiejahr war es mehr Menschen langweilig, so sieht’s aus. Zudem schwoll das Inhaltsangebot stark an, das Performer-Ensemble wuchs von einer halben Million auf gegen zwei Millionen. Da viele Erotikanbieterinnen ihre persönlichen Dienste während Lockdown- und in Home-Office- Zeiten in der richtigen Welt nicht erbringen konnten.
So weit, so gut – sex sells schliesslich – respektive so unmoralisch, kann man je nach Weltanschauung sagen. Bis dann Ende August Vater und Sohn Tim Stokely mitteilten, ab Oktober seien explicit (einschlägige) Inhalte auf Only Fans verboten (nicht aber blosse Nacktaufnahmen). Weniger auf sittlichen Überlegungen, sondern mehr auf geschäftlichen Gründen fussend, schickte die Familienfirma ihrer «schockierenden Bekanntmachung» (FT) hinterher, das Unternehmen sei so gross geworden, dass es Banken und Finanzdienstleister benötige, um nachhaltig wirtschaften zu können. «Und der Entscheid macht uns in den Augen dieser Leute akzeptabler.»
Worauf ein Haufen Mitglieder der Only-Fans-Gemeinde aufstöhnten. Darsteller klagten, die Betreiber hätten ihnen versprochen, Sexvideos et cetera auf unbestimmte Zeit zuzulassen. Weshalb sie sich ausschliesslich dieser Plattform hingaben – die 300 top creators sollen über eine Million Dollar verdienen, im Ganzen zahle das Unternehmen Inhaltserstellern 300 Millionen monatlich – und andere Kanäle vernachlässigten.
Nutzer wiederum kündigten an, ihre Abos nicht zu verlängern, wenn nur noch clean, saubere, und keine pink shots, rosa Schüsse, mehr zu sehen seien. Was nahelegt, dass die zuvor aufgestellte Behauptung, den meist männlichen Kunden gehe es nicht um Pornos, solche seien im WWW gratis zu haben, stattdessen um (virtuelle) Verbindung zu ihren meist weiblichen Stars, nicht viel mehr als Wunschdenken war.
Die Kraft der unsichtbaren Hand
«Look at the bright side», man möge das Gute beachten, sagt man in Grossbritannien. Und das heisst in diesem Fall: Die unsichtbare Hand, die Kraft des Markts, greift durch, wenn Banken sich schützen. Egal, wie man’s mit der Sexualmoral hält, ob man eher libertär oder prüde unterwegs ist, die Zusammenarbeit mit den Plattformbetreibern ist etwa für Kreditkartenunternehmen denkbarerweise schädlich. Von einem Reputationsrisiko bis zu allfälligen Rechtshändeln wegen Förderung von mancherorts verbotener Prostitution – wer weiss, was gefallene Erotiksterne ihren zahlungskräftigsten Fans alles anbieten, wenn Tage lang und Nächte einsam sind? – steckt viel Unabwägbares drin in der Wundertüte mit Namen «Only Fans».
Weshalb die allerneuste Entwicklung wieder eine Überraschung ist: «Only Fans rudert zurück, hebt umstrittenen Porno-Bann auf», enthüllte die FT vergangene Woche. Man habe sich die Unterstützung von Finanzdienstleistern, die einschlägigen Inhalten anfänglich ablehnend gegenüberstanden, jetzt sichern können, teilten Stokely & Sons mit. Der Meinungsumschwung habe viel schneller stattgefunden als zuvor angenommen.
Was nicht sehr erstaunen sollte – geht’s um Lust, werden im Hirn Botenstoffe wie Dopamin ausgeschüttet. Diese aktivieren das Belohnungssystem, wir geraten in einen Rausch, empfinden unwiderstehlichen Antrieb. Das nennt man Gier. Nach Sex. Oder Geld. Oder beidem.
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