WIR MÜSSEN ÜBER COVID REDEN
Man verbiegt sich, um nicht auf unreinem Boden neben Pandemie-Profiteuren respektive-Verharmlosern aufzuschlagen. Was Ihrem Kolumnisten auf die Nerven geht.
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Wenn man zurzeit einen Bekannten oder eine Bekannte auf der Strasse trifft, was eher selten passiert, da weniger Leute im öffentlichen Raum unterwegs sind als auch schon, verläuft der Smalltalk ungefähr in dieser Art: «Na, und wie geht’s dir denn so?» – «Gut, also das heisst, den Umständen entsprechend gut, natürlich. Und dir?» – «Ja, genau, gut, also den Umständen entsprechend natürlich.»
Mit anderen Worten: Man verbiegt sich, um nicht vom schmalen Grat des Sauberen, des sozial Verträglichen zu fallen und auf unreinem Boden neben Covid-19-Profiteuren respektive Pandemiefolgen-Verharmlosern aufzuschlagen. Was Ihrem Kolumnisten auf die Nerven geht.
Vor einigen Monaten war es der Satz «Bleiben Sie gesund», der bei ihm das Verlangen auslöste, eine Konversation abzubrechen respektive die E-Mail, an deren Fuss die Wörterhülse aufschien, unbeantwortet zu löschen. Und den Namen des Versenders ebenso. Weil «wohlmeinende Wünsche aggressiv machen können» (NZZ).
Inzwischen ist’s der Versuch, sich als jemanden darzustellen, dem/der es selbstverständlich gutgeht – man ist schliesslich seines Glückes Schmied –, der/die aber, logisch, auch reichlich Empathie für Mitmenschen hat beziehungsweise Verständnis dafür, dass sich nicht alle in einer vergleichbar bevorzugten Lage befinden wie man selbst. Weshalb man dem Mir-geht’s- gut-Bekenntnis einen Haftungsausschluss hinterherschickt.
Einen Augenblick bitte, das Gespräch nimmt einen anderen Verlauf, wenn Ihr Kolumnist daran beteiligt ist: «Na, und wie geht’s dir denn so?» – «Gut, das heisst: Mir ist langsam langweilig. Weil nichts läuft, ich mich kaum verschiebe und es noch eher wenig gibt, auf das man sich bereits verbindlich freuen darf», erwidert er. «Und bei dir?» Ist die Schrecksekunde, die immer eintritt, wenn einer was politisch Unkorrektes geäussert hat, erst mal überwunden, entgegnet die Mehrheit meiner Bekannten: «Geht mir genau gleich», oder etwas Ähnliches. Und scheint erleichtert dabei.
Wir haben es mit einem first world-Problem zu tun, einverstanden. Wie sozusagen immer in dieser Spalte. Was in Ordnung ist, schliesslich leben wir in der ersten und besten Welt dieser wunderbaren Welt, finde ich (zudem: Wer’s nihilistisch mag und lernen möchte, dass wir es ziemlich sicher demnächst mit Übersterblichkeit in bedrohlichem Ausmass zu tun bekommen, weil Restaurantterrassen wieder offen sind, dem empfehle ich das Lesen des Tages-«Vorsicht bleibt das Gebot der Stunde»-Anzeigers).
No regrets, keine Reue, weshalb auch. Wie schreibt man «Solidaridät» noch mal?
Wie war das noch mal – «Wenn man zurzeit Bekannte trifft, was selten passiert, da weniger unterwegs sind als auch schon.» Grund dafür ist nicht bloss, dass viele ihr Home-Office-Castle kaum mehr verlassen. Sondern auch, dass viele gar nicht erst hier sind. Ich erinnere mich an keinen Monat Mai, den ähnlich viele Leute aus Zürich in Dubai, Florida oder auf Mallorca verbrachten, an Orten somit, an denen es entweder kaum Covid-Fälle respektive-Tests gibt oder wo’s wenigstens warm genug ist, dass man sich während des Apéros auf einer Terrasse keine Lungenentzündung holt.
Das ist dann wohl der Blick auf die allerersten Bewohner der ersten Welt beziehungsweise die obersten 10 Prozent der obersten 10 Prozent – die, die es nicht nötig haben, sich hier mit Luxusproblemen wie Langeweile oder kühlem, regnerischem Wetter rumzuschlagen. Die stattdessen an irgendeinem warmen Ort mit lockeren Corona-Regeln chillen. Und sich dabei, so tönt’s, prima fühlen. No regrets, keine Reue, weshalb auch. Wie schreibt man «Solidaridät» noch mal?
Der anderen Hälfte rate ich, mit Zuversicht auf die kommende Sitzung des Bundesrats zu warten. MvHs Redaktionsschluss war kurz zuvor, weshalb er voraussagt – im Wissen, dass Prognosen schwierig sind, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen: Weitere Erleichterungen werden kommen. Und Restaurants etwa bald wieder öffnen dürfen, richtig öffnen, nicht bloss wenige zugige Plätze anbieten auf «Terrassen» ohne Platanen, Panorama oder peace and quiet.
Dann ist ja alles gut. Also den Umständen entsprechend gut, natürlich, nicht wahr? Haha, gotcha, reingefallen.
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